Antwort von Anke Domscheidt-Berg

Ungewollt schwangere Frauen brauchen zeitgemäße Regelungen für den
Schwangerschaftsabbruch.
Ich spreche mich sehr klar für eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts,
eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine bessere
medizinische Versorgung von betroffenen Frauen aus. Sowohl zur Unterstützung
der selbstbestimmten Entscheidung der Frau als auch für den Schutz des
ungeborenen Lebens gibt es wirksamere Maßnahmen als das Strafrecht. Ich
möchte das ausführlicher begründen, am Ende auch mit meiner persönlichen
Geschichte.

Nach meiner Überzeugung müssen Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des
Strafgesetzbuchs geregelt werden, denn die eigenwillige Regelung, dass
Schwangerschaftsabbrüche immer illegale Straftaten sind, die aber manchmal
straffrei bleiben, kriminalisiert nicht nur schwangere Frauen in einer
unzumutbaren Weise, sondern führt auch zu Folgen, die direkt die
gesundheitliche Versorgung von Frauen verschlechtern. So gehören
Schwangerschaftsabbrüche nicht zur Regelausbildung von Gynäkolog:innen, so
dass Studierende an Papayas üben müssen
(https://www.br.de/nachrichten/bayern/abtreibungen-papaya-workshops-gege…
ecke-im-medizinstudium,UEMCKLK ) und unnötige Risiken für Frauen entstehen.
Außerdem hat die Strafandrohung inzwischen zu einer massiven
Unterversorgung, insbesondere in Süddeutschland, geführt.

Laut einer Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation ist es essenziell für
das Wohl von Frauen, dass ihnen eine umfassende und qualitativ
ausgezeichnete medizinische Betreuung im Rahmen eines
Schwangerschaftsabbruchs gewährleistet wird (WHO 2022). Aber weil das
Strafrecht dafür sorgt, dass immer weniger Ärzt*innen den
Schwangerschaftsabbruch durchführen oder sich dafür entscheiden, ihn zu
erlernen und anzubieten, können heute ungewollt Schwangere in 85 von 400
Landkreisen kein Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch angemessen
erreichen.

Auch die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch stellen für einige Frauen
in Deutschland eine erhebliche Hürde dar, da sie bereits ambulant bis zu 500
? betragen und stationär weit darüber liegen und nur in Ausnahmefällen von
den Krankenkassen übernommen werden - auch das hat damit zu tun, dass
Schwangerschaften im Strafrecht geregelt werden. Frauengesundheit und der
Grad der Selbstbestimmung über den eigenen Körper darf aber nicht vom
Geldbeutel abhängen!

Natürlich ist ungeborenes Leben schützenswert, aber zum einen versagt dabei
unser geltendes Recht, denn die Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen
steigen. Gleichzeitig wird von Frauen, und nur von Frauen, das Recht auf
reproduktive Selbstbestimmung eingeschränkt. Den Schutz des ungeborenen
Lebens erreicht man nicht durch Strafandrohung, sondern durch eine gute
Unterstützung von (ungewollt) schwangeren Frauen und Familien. Diese
Erkenntnis führte auch im sehr katholisch geprägten Irland 2018 zu einer
Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur 12. Woche.

Sie liegt auch dem Anfang 2024 veröffentlichten Bericht der unabhängigen
Expertinnen- und Expertenkommission für reproduktive Selbstbestimmung und
Fortpflanzungsmedizin zugrunde, die einstimmig empfahl, dass der
Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft mit
Einwilligung der Frau erlaubt werden soll
(https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloa…
/Kom-rSF/Abschlussbericht_Kom-rSF.pdf ) . Es folgte eine intensive
gesellschaftliche Debatte und eine Umfrage des Bundesfrauenministeriums im
Frühjahr 2024, nach der für 78% der Befragten die freie
Entscheidungsmöglichkeit bis zur 12. Schwangerschaftswoche zu einer
selbstbestimmten Familienplanung gehört und 83% stimmten zu, dass es
letztlich die persönliche Entscheidung der Frau sein sollte, ob sie eine
Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen fortsetzen will
(https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderw…
h/schwangerschaftsabbruch/schwangerschaftsabbruch-nach-218-strafgesetzbuch-8
1020)

Auch der Deutsche Frauenrat, in Deutschland der größte Dachverband mit rund
60 gleichstellungspolitischen Organisationen, hat sich im Sommer 2024 für
eine Neuregelung des Abtreibungsrechts mit einer Fristenlösung außerhalb des
Strafgesetzbuchs positioniert. Ein abweichendes Votum formulierten die
Arbeitsgemeinschaft katholische Frauenverbände und -gruppen und die Frauen
Union der CDU Deutschlands, was aber die Entscheidung nicht änderte.

Der fraktionsübergreifende Gruppenantrag (Drucksache 20/13775), den ich auch
selbst mit eingebracht habe, bildet diese Einstellung einer sehr großen
Bevölkerungsmehrheit ab, denn er fordert, dass bis zum Ende der 12.
Schwangerschaftswoche ein Abbruch der Schwangerschaft grundsätzlich nicht
mehr rechtswidrig sein soll und deshalb der Paragraf 218 Strafgesetzbuch neu
geregelt werden muss. Ein Widerspruch zur verfassungsrechtlichen
Schutzpflicht zugunsten von Embryonen und Föten besteht dabei nicht.

Ich möchte aus persönlicher Sicht noch weitere Argumente nennen, denn als
Ostdeutsche habe ich bis zur Wiedervereinigung als junge Frau bereits ein
uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht in den ersten 12
Schwangerschaftswochen erlebt. Sowohl die "Babypille" als auch
Schwangerschaftsabbrüche galten als medizinische Leistungen und waren
kostenfrei verfügbar, es gab eine sehr gute medizinische Versorgung in hoher
Qualität - auch für Schwangerschaftsabbrüche. Mit 17 Jahren wurde ich selbst
in der DDR ungewollt schwanger, ich wollte mich gerade von meinem Freund
trennen und stand 1 Jahr vor dem Abitur. Mein Freund war Medizinstudent und
hatte mir versprochen, sich kompetent um die Verhütung zu kümmern. Ich war
unerfahren und glaubte ihm, dass die Tagezähl-Methode verlässlich
Schwangerschaften verhindern kann. Das ist natürlich Unfug und so wurde ich
schwanger. Für mich bedeutete das, dass ich mit einem Baby das Abitur nicht
durchziehen kann, dass sich meine Studienpläne erledigt haben und ich mit
einem Mann, den ich nicht mehr liebte, zusammenbleiben muss. Ich verlobte
mich also und bekam eine Depression. Ich betrachtete mit 17 Jahren mein
Leben als vorbei.

Nach einigen Tagen, in denen ich nur apathisch liegen blieb, erklärten mir
meine Eltern gemeinsam, dass ich eine Entscheidungsmöglichkeit hätte und
ganz allein entscheiden könnte, ob ich das Baby bekomme oder nicht und dass
sie mich voll unterstützen würden, ganz egal, wie ich mich entscheide. Mein
Vater, ein Arzt, erklärte mir auch, dass Schwangerschaftsabbrüche in
Krankenhäusern professionell vorgenommen werden und dass ich später trotzdem
Kinder bekommen kann. Ich habe mich seinerzeit schweren Herzens gegen die
Schwangerschaft entschieden, denn ich liebe Kinder. Aber ich bin noch heute
froh, dass ich diese Entscheidungsmöglichkeit und Autonomie über meinen
Körper hatte. Ich löste die Verlobung, machte ein sehr gutes Abitur und
erwarb mehrere Studienabschlüsse, 13 Jahre nach meiner
Teenagerschwangerschaft bekam ich mein Kind.

Als Feministin fällt es mir sehr schwer zu erleben, dass 35 Jahre nach dem
Mauerfall Frauen in Ostdeutschland immer noch weniger Rechte haben, als in
den 70er und 80er Jahren in der DDR. Die Selbstbestimmung über den eigenen
Körper halte ich für elementar, um Artikel 1 des Grundgesetzes: "die Würde
des Menschen ist unantastbar" auch für ungewollt Schwangere zu respektieren.
Frauen sind schließlich Menschen und keine Gefäße, die man gegen ihren
Willen nutzen kann. Mir reicht die aktuelle Lösung mit "Strafbarkeit - aber
Straffreiheit" dabei nicht. Wenn ich das Recht habe, selbst über meinen
Körper zu bestimmen, dann darf ein Schwangerschaftsabbruch keine Straftat
sein und muss als Gesundheitsleistung sicher und von den Kassen bezahlt
angeboten werden - so wie ich das als junge Frau erlebt habe. Andernfalls
ist die Norm eine Fremdbestimmung, die Frauen entmündigt, und die
Strafbarkeit, für die bestimmte Ausnahmen gelten, führt zu mangelhaften
Angeboten mit hohen persönlichen Kosten für ungewollt Schwangere.  

Selbstverständlich gilt Art. 1 Grundgesetz auch für das entstehende Leben,
aber wenn es einen Konflikt der Interessen gibt, muss ein angemessener
Interessensausgleich erfolgen. Deshalb ist es richtig und sinnvoll, die
Liberalisierung nur auf die ersten 12 Wochen zu begrenzen.

Vielleicht noch ein letztes, feministisches Argument: "Männer und Frauen
sind gleichberechtigt" bedeutet nach meiner Überzeugung auch eine
gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen in Parlamenten. Aktuell ist der
Frauenanteil im Bundestag aber nur 35,7 %, d.h. 64,3 % Männer entscheiden
mit ihrer Mehrheit über die Körper und Rechte von Frauen, künftig wird der
Frauenanteil in Parlamenten absehbar sogar noch deutlich sinken. Ich finde
das nicht richtig, denn die Erfahrung zeigt, dass Frauen notwendige
Unterstützung in dieser Parlamentszusammensetzung ungenügend erhalten - z.B.
Schutz vor Gewalt, die vor allem von Männern ausgeübt wird, oder als
Alleinerziehende von Kindern, die überdurchschnittlich häufig von Armut
betroffen sind. Wenn Schwangerschaftsabbrüche verringert werden sollen, muss
man die Rechte von Frauen stärken, für echte Gleichberechtigung und eine
gerechtere Teilung von Care-Arbeit sorgen und die vielen, vielen Nachteile
abbauen, die Mütter im Laufe ihres Lebens durch ihre Mutterschaft erleben -
z.B. Armut als Alleinerziehende, Karrierebrüche oder Minirenten im Alter.
 

Mit freundlichen Grüßen,

Ihre Anke Domscheit-Berg (MdB)

Mitglied im Ausschuss für Digitales
Digitalpolitische Sprecherin DIE LINKE im Bundestag