Die Veranstaltung "Impulse für Kommunen: Digitalisierung als Motor oder Bremse für die neue Gestaltung der Erwerbs- und Sorgearbeit?" zum zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fand am 16. Oktober 2019 statt.
Veranstaltungsrückblick
„Digitalisierung ist mehr als selbstfahrende Autos. Es geht um gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männer,“ sagten die Bundessprecherinnen Inge Trame und Roswitha Bocklage in ihrer Eröffnungsrede der Tagung, zu der knapp 80 kommunale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte aus ganz Deutschland und Vertreter*innen aus Institutionen, dem BMFSFJ und Kooperationspartner*innen nach Berlin gekommen waren.
Weichen Stellen
Über einen Mangel an Impulsen konnten sich die Teilnehmer*innen, ganz sicher nicht beklagen. Prof.*in Dr. Aysel Yollu-Tok, Vorsitzende Kommission dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Mitglied der Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fasste in ihrem Vortrag zusammen, wie die thematischen Schwerpunkte des dritten Gleichstellungsberichtes zum Thema Digitalisierung gesetzt sind. Und sie machte klar, „jetzt müssen Weichen gestellt werden für die Geschlechtergerechtigkeit.“
Unbewusste Muster haben wir alle
Denn unbewusste Muster und Erfahrungen prägen jeden und jede, das haben Untersuchungen gezeigt. Wie stark diese „unconscious Bias“ (weißen Flecken) unsere Entscheidungen beeinflussen, zeigte Hanna Völkle von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in praktischen Übungen und theoretisch in ihrer Präsentation. Erwiesen ist zum Beispiel, dass Menschen diejenigen bevorzugen, die ihnen ähnlich sind - und das tun sie dann unbewusst auch beim Programmieren von Algorithmen. Deshalb müssen Entwickler*innen und Programmierer*innen für ihre gesellschaftliche Verantwortung ihres Tuns sensibilisiert werden - gerade auch bei der Geschlechterfrage.
Eine geschlechtergerechte Digitalisierungsstrategie
wird gebraucht, forderte deshalb Dr.*in Edelgard Kutzner, von der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund. Denn jede neue Technologie kann ein Anlass sein, Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln, Machtverhältnisse, Rollenzuschreibungen und Arbeitsteilung zu hinterfragen.
Algorithmen gehen uns alle an
Denn Algorithmen werden „ge-Macht“, die Frage ist von wem und in welchem Interesse. Die Frage „Von wem“, ist relativ schnell zu beantworten. Es sind überwiegend Männer mit weißer Hautfarbe. Damit die Digitalisierung alle Interessen berücksichtigt, braucht es eine Vielfalt von denjenigen, die sie entwickeln, machte Victoria Grzymek deutlich. Als Projektmanagerin im Projekt „Ethik der Algorithmen“ der Bertelsmann Stiftung, weiss sie: „Algorithmen sind nur so gut, wie wir sie machen“. Es sei wichtig, genau zu überlegen, wo sie eingesetzt werden sollen und wo nicht, Kriterien müssen festgelegt und transparent gemacht werden und vielleicht das Wichtigste: Algorithmen sollten in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden und vor allem: Sie müssen kontrolliert werden.
Wie können Algorithmen entwickelt werden, die ohne menschliche Voreingenommenheit und (unbewusstes) Bevorzugen funktionieren? Diese Frage muss beantwortet werden, wenn die Digitalisierung nicht zur Falle in Sachen Gleichstellung werden soll.
Digitalisierung betrifft (fast) alle Bereiche der Verwaltung
Digitalisierung hat die Verwaltungen bereits massiv verändert. So sind vielfach bereits einfache Arbeitsplätze entfallen. Neue komplexere Arbeitsplätze sind entstanden, die neue Anforderungen und Regeln an die Bewertungssysteme stellen. Gleichzeitig wird Verwaltungshandeln immer komplexer und erfordert oftmals Denken in Projektstrukturen. Dies wiederum erfordert neue Formen der Führung, auf die sich die Führungskräfte vorbereiten müssen, betont Sonja Leidemann, Bürgermeisterin der Stadt Witten.
Digitalisierung in Verwaltungen kann durch die Flexibilisierung des Arbeitsplatzes dazu beitragen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Pflege und Beruf besser zu vereinbaren. Gleichzeitig gehören aber klare Regeln in der Verwaltung und im häuslichen Kontext zum Schutz der Beschäftigten dazu.
Kulturwandel durch Digitalisierung
Digitalisierungsprozesse in den Kommunen erfordern einen Organisationsentwicklungsprozess und einen Kulturwandel. In einigen großen Kommunen wird z.B. von der klassischen alternierenden Telearbeit hin zum mobilen Arbeiten, von der Präsenz- hin zur Ergebniskultur vieles möglich gemacht, berichtet Ursula Nicola-Hesse, Auditorin berufundfamilie der Hertie Stiftung. Es ist wichtig zu sehen, dass Individualisierung der große Trend ist, der hier wirkt und der rechtlich flankiert werden muss. Denn, wenn sich z.B. die Arbeitszeiten auf 6-22 Uhr ausweiten, wenn Menschen im Homeoffice rund um die Uhr erreichbar sind, dann stellt sich die Frage: Wer achtet auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards? Da ist es heute vielfach so, dass dies fast ausschließlich auf den Schultern der Mitarbeiter*innen lastet. Führungskräfte müssen die Auswirkungen z.B. des digitalen oder mobilen Arbeitens auf die Arbeitskultur mitdenken. Deshalb reicht es nicht, viele flexible Einzellösungen nebeneinander zu realisieren, sondern sie müssen in Teams ausgehandelt werden. Die Regeln für das Gesamtsystem müssen angesichts digitaler Lösungen neu auf die jeweiligen Bereiche zugeschnitten werden, z.B. Öffnungszeiten und Erreichbarkeit, Größe der Teams oder Bedarfe der Mitarbeiter*innen. Die Rolle der Führungskräfte ist es, diesen Prozess anzustoßen, zu moderieren und zu kommunizieren.