Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 stellte einen
massiven Einschnitt in das soziale Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland dar.
Seit diesem Zeitpunkt ist jeder Mensch, der arbeitslos wird, nur ein Jahr von der
weitreichenden Kontrolle des Staates über die Gestaltung der persönlichen
Lebensbedingungen entfernt.
Bereits damals hat sich die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und
Gleichstellungsstellen sowie weitere namhafte Frauenorganisationen für eine die
Eigenverantwortung stärkende und geschlechtergerechte Arbeitsmarkt- und Sozialreform
ausgesprochen.
Einige unserer Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Partnerschafts- und
Familienverhältnisse, die sogenannte „Bedarfsgemeinschaft“, sind Grundlage für die
Gewährung der staatlichen Unterstützungsleistung. Dies führt zur Unmündigkeit der
einzelnen Familienmitglieder, insbesondere der Frauen.
Die Unterwerfung aller Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaft unter die Regel, jede Arbeit
annehmen zu müssen, hat zu einem beispiellosen Lohndumping geführt, das erst durch die
Einführung des Mindestlohns eingedämmt werden konnte. Millionen prekärer
Beschäftigungsverhältnisse sind entstanden, die Einkommensarmut führt in die Altersarmut.
Viele Menschen haben Abstiegsängste und das Vertrauen in den Sozialstaat verloren.
Erschwerend tritt hinzu, dass die Einkommen in frauendominierten Branchen weiterhin stark
unter denen in männerdominierten Wirtschaftszweigen liegen. Gender Pay Gap und
Teilzeitarbeit führen dazu, dass überwiegend Frauen kein existenzsicherndes Einkommen
erzielen können und als sogenannte Aufstockerinnen beim Jobcenter mit allen damit
verbundenen Restriktionen landen. Der Freibetrag für Erwerbstätige ist gering und deckt oft
nicht die Kosten, Kinder, die mit ihren Familien im Hartz IV-Bezug stehen, müssen früh
erfahren, dass es sich nicht lohnt, ein Taschengeld zu verdienen, wenn dieses Geld zur
Deckung des Familienbedarfs angerechnet werden muss.
Die Erwerbsbedingungen sind für Frauen/ Familien mit Kindern nach wie vor stark erschwert
aufgrund der immer noch weitgehend angespannten Versorgungssituation mit
Kinderbetreuungsplätzen insbesondere in Randzeiten und für Kinder oberhalb des
Grundschulalters.
Niedrige Löhne, fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Teilzeitarbeit haben für
alleinerziehende Frauen die Wirkung, dass sie für lange Jahre, wenn nicht sogar lebenslang
auf staatliche Unterstützung angewiesen sein werden.
Wir müssen zudem feststellen, dass nicht in allen Jobcentern geschlechtersensibel mit
diesen Rahmenbedingungen umgegangen wird. Meist liegen die für Frauen erbrachten
Eingliederungsleistungen unter der relativen Erwerbslosenquote. Frauen partizipieren somit
nicht ausreichend an den Aktivierungsleistungen.
Wir sehen mit Sorge, dass die vorliegenden Reformvorschläge von CDU, SPD und Liberalen
keine emanzipativen Elemente enthalten und an dem Prinzip der Bedarfsgemeinschaft
festhalten.
Eine Umbenennung in „Bürgergeld“ wäre in Sprache gegossener Ausdruck des
paternalistischen Grundgedankens.
Aus unserer Sicht sind folgende erste Reformschritte erforderlich:
- Aufhebung des Prinzips der Bedarfsgemeinschaft und Einführung der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung jeder Person
- Anhebung der Regelsätze auf ein Niveau, das echte soziale Teilhabe ermöglicht
- Herausnahme von Kindern aus der sozialen Bedürftigkeit durch Zahlung eines existenzsichernden Kindergeldes/ Erforderliche Sofortmaßnahme: Nichtanrechnung selbst verdienten Taschengeldes für Schülerinnen und Schüler
- Anhebung des Sockelbetrages für Erwerbstätige
- Geschlechterdifferenzierte und geschlechtergerechte Beratung in den Jobcentern
Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen spricht
sich für eine geschlechtergerechte Reform aus, die weit über die Neugestaltung des sozialen
Sicherungssystems hinausgeht:
Wir verteidigen nicht das Alte, sondern orientieren uns auf neue Inhalte und Strukturen von
Wirtschaft, Arbeit und Sozialstaat, die eine moderne BürgerInnengesellschaft konstituieren.
Es ist Zeit, zu Reformen überzugehen, die die Bürgerin und den Bürger stärken, die aber auch
den Zusammenhang für eine BürgerInnengesellschaft neu stiften. Es ist Zeit für einen
Sozialstaat, der von gängelnder Versorgung zur Mündigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger
übergeht, d. h. ihnen neue soziale Rahmenbedingungen und Rechtsgrundlagen
zur Selbständigkeit zur Verfügung stellt, und der zugleich Bedingung für eine
nachhaltige Wirtschaft ist. Daraus erwächst sozialer Reichtum, der materielle, soziale und
kulturelle Qualität in ihrem Zusammenhang umfasst und an dem gemäß ihrer Mitwirkung
alle teilhaben.
Die BAG erwartet, dass Frauen und Frauenverbände angemessen an den Reformprozessen
beteiligt werden und bietet ihre Zusammenarbeit dazu an.