Laudatio für Brühl

Preisverleihung Gender Award - Kommune mit Zukunft 2019 für die 3. Preisträgerin Stadt Brühl, And the (3rd) winner is… BRÜHL, Laudator: Dag Schölper, Bundesforum Männer

Brühl? Ich bekenne, dass ich Brühl bis vor kurzem gar nicht kannte. Laut Wikipedia ist Brühl eine mittelgroße Stadt im Rhein-Erft-Kreis. Das sagte mir als einem offenkundig auch unter Insularsyndrom leidenden Westberliner nichts. Aha: Brühl liegt im Süd-Westen von Köln. Da ich bis vor kurzem in Berlin-Neukölln gelebt habe, entsteht daraus für mich eine gewisse Nähe und Sympathie.  Meine Mitarbeit in der Jury zum Gender Award zeigte mir darüber hinaus aber klar und deutlich: Es lohnt, mehr über Brühl zu wissen, auch mehr als dass Brühl Geburtsort des Künstlers Max Ernst war und dass heute dort die Künstlerin Eva Janina Wieczorek lebt und wirkt. Allem Anschein nach, können sich die die gut 44.000 Einwohner_innen glücklich schätzen, in einer Stadt leben, in der Gleichstellung wirklich ein ernsthaftes Anliegen ist.

Top-down und Bottom-up

Hier sind gleichstellungsrelevante Themen selbstverständlicher Bestandteil verpflichtender Fortbildungen für Führungskräfte. Die Zahl von Frauen in Leitungspositionen des höheren Dienstes ist innerhalb von acht Jahren von fünf auf 14, der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist insgesamt von 31 auf 38 Prozent angewachsen.

Hierfür werden unbürokratisch und kurzfristig Lehrgänge für quereingestiegene Beschäftigte vorgehalten, als wirksames Instrument der Personalentwicklung und Ausbildung (auch) in Teilzeit wird ermöglicht. Brühl leistete in jüngster Vergangenheit beachtliches, indem in den letzten vier Jahren knapp 400 (392) Kolleginnen in Sachen Schlagfertigkeit, Konfliktmanagement, Sprache und Macht, Stressbewältigung und Karriereplanung fortgebildet wurden.

In Brühl wurde ganz offensichtlich verstanden, wie wichtig  es ist, Veränderungen sowohl von oben wie von unten anzustreben.

Denn „andere Führung“ muss sich mit „anderer“ Versorgungsstruktur verbinden. Es ist keine Kleinigkeit für eine Kommune, den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht zu werden, insbesondere in der Situation von Alleinerziehenden, etwa indem Kinderbetreuungskosten während kommunaler Seminare von der Stadt übernommen werden oder Home Office-Arbeit aktiv unterstützt wird. Es ist überdies von hohem Wert, wenn in einer Stadt regelmäßige Stammtische für Frauen zur Vernetzung und zu Erfahrungsaustausch stattfinden und dies auch aus den Strukturen heraus gesehen und anerkannt wird.

Ich bin, wie Sie vielleicht wissen, für das Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer & Väter e.V. in der Jury. Von daher gucke ich besonders auf die Ansprache und Angebote speziell für Männer. Da ginge in Brühl sicher noch mehr. Aber es ist wichtig und unterstützenswert, dass in der Stadtverwaltung die Sensibilisierung der Vereinbarkeitsfrage für Männer mit Kindern und/oder Pflegeverantwortung voranschreitet.

Die bis hierher exemplarisch aufgezählten kleinen Schritte sind in ihrer Summe von großer Bedeutung. Für jede_n Einzelne_n.

Als Jury finden wir das Engagement der vergleichsweise kleinen Stadt auch in seiner Breite sehr beachtlich, denn es reicht vom Bestreben, den Beschäftigten der Kommune möglichst große Flexibilität zu ermöglichen, um Vereinbarkeit leben zu können. Aber es setzt auch aktiv auf Bewusstmachung und Bewusstseinswandel.

Aktive Geschichtspolitik

In Brühl wird aktive Geschichtspolitik betrieben. Mit Erinnerungsarbeit werden die Leistungen und Schicksale von Frauen öffentlich sichtbar gemacht, etwa bei der Verlegung von Stolpersteinen oder bei Straßenbenennungen – als Teil einer Öffentlichkeitsarbeit, mit der auch die Leistungen von Frauen sichtgemacht werden.

Zukunftsorientierung und Empowerment

In Brühl wird zukunftsorientiert gearbeitet. Die Frauenwoche rückt viele wichtige Themen in den Fokus und macht sie dadurch einer breiteren Öffentlichkeit sichtbar, das motiviert und stärkt Frauen – nicht zuletzt, wenn Spenden für das Frauenhaus gesammelt werden.

International

Brühl ist sich dabei aber nicht selbst genug. Im Rahmen von „Engagement Global“ ist die Stadt auch in Marokko engagiert, um vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, um Frauen nachhaltig zu unterstützen. Es geht um Gleichstellungspolitik als entwicklungspolitisches Engagement und wechselseitiges Lernen.

Strategisch

Alles das geschieht offenkundig nicht beliebig und zufällig. Vielmehr ist, wenn man alles zusammen nimmt, ganz klar eine gleichstellungspolitische Strategie erkennbar.

Das ist alles andere als selbstverständlich. Daher hat Brühl den Gender Award mit allem Recht verdient. Als Jury hoffen wir, dass dies auch ein Ansporn für andere mittlere und kleinere Städte und Kommunen sein kann, diesem gleichstellungspolitischen Vorbild nachzufolgen und darüber auch laut zu sprechen.