Warum weibliche Vorbilder so wichtig sind, 11.10.2015

Ada Lovelace Day: „Dieses Treffen war meine Initialzündung, Programmiererin zu werden“

11.10.2015 von Lucie Höhler

Frauen, die für Mathematik, Physik oder Programmiersprachen brennen, in diesen Feldern gar brillant sind, bekommen historisch gesehen wenig geschenkt — schon gar keinen Nobelpreis. Der Ada Lovelace Day, der heute auf der ganzen Welt gefeiert wird, will das gerade rücken — oder zumindest ein bisschen gerader: Er ist ein Tag nur zu Ehren von Technik-Pionierinnen. Denn auf die Idee, selbst zu programmieren oder zu forschen, kommt nicht jede von selbst. Wie wichtig es ist, andere zu sehen, die den Weg schon gegangen sind, hat Lucie Höhler, Entwicklerin bei einem Berliner Startup, für uns aufgeschrieben.

„Zum Programmieren braucht man ein Studium!“ Das stand in meinem Kopf lange als unhinterfragte Tatsache fest. Ich brauchte Jahre bis ich mir eingestand, dass ich gerne mal ausprobieren würde, ob das wirklich stimmt. Ob ich nicht auch einfach so lernen könnte, wie man programmiert. Beruflich befand ich mich in einer Sackgasse. Ich hatte einen soliden, mittelmäßig bezahlten Job, der mir aber wenig Freude und Perspektiven brachte. Ich stellte Texte und Bilder ins Internet, und fragte mich dabei insgeheim, ob ich dieses Internet nicht viel lieber technisch gestalten würde. Wenn ich mal etwas am Layout der Website meiner Arbeitgeberin ändern durfte, war ich geduldig, neugierig und konzentriert. Genau so sollte sich Arbeiten anfühlen, davon wollte ich mehr!

Genau so sollte sich Arbeiten anfühlen, davon wollte ich mehr!

Schon als Kind war ich immer diejenige, die den Videorecorder programmierte, die sich als eine der ersten in der Klasse einen eigenen Computer wünschte und Videospiele spielte. Technisches war mir immer leicht gefallen, und der Gedanke, dass ich das berufliche Ruder noch mal komplett herumreißen könnte, ließ mich nicht mehr los. Aber wie anfangen? Ein Studium kam für mich nicht mehr in Frage, noch mal drei bis vier Jahre aus dem Beruf auszusteigen, wäre finanziell und organisatorisch nicht zu machen gewesen.

Gleichzeitig rückten zu diesem Zeitpunkt — und ich kann gar nicht sagen, wie glücklich und dankbar ich dafür immer noch bin — andere Möglichkeiten in mein Blickfeld. Das Thema Frauen in der Tech-Industrie tauchte immer öfter in meiner feministisch-technikaffinen Bubble auf, ebenso das Interesse am Programmieren. Ich hörte zum ersten Mal von Initiativen wie den Rails Girls oder der Open Tech School, die kostenlose Workshops für Einsteiger — und vor allem für Einsteigerinnen — anbieten. Vor allem aber hörte ich zum ersten Mal von einer Frau, die es tatsächlich durchgezogen hatte: Freundinnen erzählten mir von Birte Goldt, einer jungen Mutter aus Hamburg, die sich ein Jahr lang hingesetzt, Programmieren gelernt und am Ende einen Job als Entwicklerin bekommen hat.

Heute kenne ich einige Frauen (und Männer), denen ein solcher Quereinstieg gelungen ist. Vor zwei Jahren klang das für mich unerhört. Erst rückblickend ist mir bewusst geworden, wie wichtig es war, zu hören, dass es tatsächlich machbar ist. Programmieren zu lernen ist zwar seit Jahren in aller Munde, aber zwischen einem Einstiegs-Tutorial auf codeacadamy.com und einer Karriere als Web Developerin lag für mich ein großes schwarzes Loch. Wie würde das praktisch gehen?

Unsicherheiten und Zweifel bekämpft man am besten, indem man mit Leuten spricht, die diesen Weg schon gegangen sind. Ich besuchte also einen Rails Girls Workshop in Hamburg und traf Birte Goldt. Später haben mich noch viele weitere Menschen, insbesondere aus der umtriebigen Berliner Web-Developer-Community, unterstützt — aber dieses Treffen mit Birte sollte meine Initialzündung sein.

Vormittags Lohnarbeit, nachmittags über HTML, CSS und JavaScript brüten

Natürlich ging dann nicht alles von heute auf Morgen. Zwischen meinem Entschluss im Herbst 2013 und meinem ersten Job als Entwicklerin im Sommer 2015 liegen gut anderthalb Jahre. Ich beantragte Teilzeit, vormittags ging ich der Lohnarbeit nach, nachmittags brütete ich über HTML-, CSS- und JavaScript-Tutorials. Ich besuchte Meetups, ging zu Workshops und Konferenzen und kam so mit anderen Quereinsteigerinnen in Kontakt. Wir sprachen über die vielen Hürden, die einer auf diesem Weg begegnen. Denn auch wenn es absolut machbar ist und ich alle darin bestärken würde: Leicht ist Programmieren lernen trotzdem nicht. Manchmal ist es sogar verdammt hart. Man muss vor allem lernen, damit umzugehen, wie viel man nicht weiß — das hört auch später nicht auf, eher im Gegenteil. Es gibt viele frustrierende Momente, etwa wenn du mal wieder als einzige Frau in einem Workshop sitzt, und versuchst, von Menschen Hilfe anzunehmen, die sich gar nicht mehr vorstellen können, wie sich das anfühlte als blutiger Anfänger. Und schon gar nicht als blutige Anfängerin über 30.

Ich hatte lange Angst, anderen meinen Code zu zeigen. Angst, schlicht dumm dazustehen und mich lächerlich zu machen. Ich musste lernen, damit umzugehen, um mir nicht selbst im Weg zu stehen. Am besten und schnellsten kommt man nämlich voran, wenn man fragt, sich Dinge erklären lässt, und dabei die Angst, dumm zu erscheinen, möglichst weit weg schiebt. Ich finde diese Angst trotz allem verständlich und schäme mich auch nicht dafür. Mit anderen EntwicklerInnen nicht nur über Code und Bugs zu sprechen, sondern auch über die eigenen Unsicherheiten, das hat mir enorm geholfen. In Berlin zu wohnen, wo ich eine sehr hilfsbereite Community voller Angebote und eine fast schon unübersichtlich große Szene zu allen möglichen Programmiersprachen vorfand, war natürlich ein Vorteil. Aber im Grunde reicht dazu eine Internetverbindung – und die gibt es auch auf dem Dorf.

Ich wünsche mir manchmal, ich hätte meine Interessen früher erkannt.

Heute arbeite ich als Entwicklerin in einem Berliner Startup und kann sagen: ja, es geht auch ohne ein Informatikstudium. Schaden tut es natürlich trotzdem nicht. Ich wünsche mir manchmal, ich hätte meine Interessen früher erkannt, und mich schon in der Ausbildung in diese Richtung orientiert. Warum ich das nicht tat, bereitet mir einiges Kopfzerbrechen — und ist noch mal ein anderes Thema, das uns weit über diesen Tag hinaus beschäftigen sollte.

Was ich allen empfehlen würde, die es wie mich schon lange in den Programmierfingern juckt: Legt los, selbst wenn es nur ein wenig Website-Basteln nebenher ist. Je früher, desto besser. Denn Zeit und Erfahrung ist einfach unersetzlich in diesem Bereich. Wir müssen alle immer weiter lernen, und das ist sehr motivierend. Fehler machen, Lernen, wieder Fehler machen, noch mehr Lernen, besser werden. Und wenn die Puzzleteile anfangen, sich im Kopf zusammenzufügen, und man dann etwas baut, das funktioniert — das ist ein absolut Hochgefühl.

 

Lucie Höhler hat vor zwei Jahren beschlossen, dass sie als Entwicklerin arbeiten will, und bringt sich seitdem selbst das Programmieren bei. Seit Kurzem hat sie einen Job als Trainee bei einem Berliner Startup. Hier geht's zu ihrer Website.

Ada Lovelace (1815-1852) war eine britische Mathematikerin, die als erste Computer-Programmiererin der Welt gilt. Der in ihrem Namen begangene Ada Lovelace Day soll sie und andere Tech-Pionierinnen ehren und Frauen ermutigen, einen Beruf in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zu ergreifen.

Warum die Tech-Szene unbedingt weiblicher werden muss, lest ihr hier. Und wie Alaina Percival das mit ihrem Netzwerk Women Who Code erreichen will, erklärt sie im Interview

www.wired.de/collection/latest/ada-lovelace-day-warum-weibliche-vorbild…